Bericht zur ersten internationalen Ifgene-Konferenz zu Fragen der Gentechnik vom 2. - 5. Oktober am Goetheanum in Dornach, Schweiz
Der Mensch in der heutigen Gesellschaft sieht sich schon frueh in die Lage gedraengt, Entscheidungen zu treffen, deren Tragweite schwer zu ueberblicken ist. Die modernen Entwicklungen in Medizin und Biologie stellen uns in dieser Hinsicht vor groesste Entscheidungsprobleme und notwendigkeiten. Betrachtet man die heutigen Denkmodelle und Forschungsaktivitaeten in den Naturwissenschaften, so bestuerzt die radikal-reduktionistische Erklaerung des Lebendigen durch das Paradigma des genetischen Determinismus: Stoff (das Gen) diktiert Leben (den Organismus). Lebendige Organismen werden molekulargenetisch erklaert, Krankheiten und Disharmonien als Veraenderung oder Stoerung des Zusammenspiels der Gene gedeutet. Diese drastische Vereinseitigung in der Betrachtung von Pflanze, Tier und Mensch erfordert dringend ergaenzende und alternative Erklaerungsmodelle.
Aus einer Initiative der naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum in Dornach bei Basel, Schweiz, formte sich in den letzten Jahren die internationale und interdisziplinaere Arbeitsgruppe Ifgene mit dem Ziel, Gespraechsforen zu bilden, wo bestehende Paradigmen aufgeweicht, neue Sichtweisen erarbeitet und an die Oeffentlichkeit getragen werden. Diese Arbeit muendete nun in die Konferenz "The Future of DNA" mit der provokanten Frage: liegt unsere Zukunft in der DNA? In der Schreinerei am Goetheanum trafen sich hierzu etwa 200 Aerzte, Wissenschaftler, Paedagogen und interessierte Laien aus Europa und Uebersee, um Berechtigung, Reichweite und Auswirkungen dieser Denkweise im offenen Dialog zu eroertern. Die Konferenz gliederte sich anhand dreier Schwerpunkte:
dem Einfluss des "DNA-zentrierten Denkens" auf Wissenschaft und Gesellschaft
der Rolle des Erbgutes in lebenden Organismen
dem Erbgut in Verbindung zur menschlichen Biographie.
Neben zwei abendlichen Podiumsgespraechen mit Vertretern aus der Gentechnologie sowie einem Anwalt bestand in Plenumsgespraechen die Moeglichkeit zur Diskussion. Zusaetzlich fanden zehn Arbeitsgruppen statt, in denen praktisch alle mit der Gentechnik in Zusammenhang stehenden Fragestellungen auf unterschiedlichste Weise eroertert wurden. Charakteristisch war der Ansatz, als Redner und Arbeitsgruppenleiter in dieser Thematik arbeitende Persoenlichkeiten mit den Tagungsteilnehmern aus den verschiedensten Arbeitszusammenhaengen, mit Kritikern und Befuerwortern zusammenzubringen, um so ein wahrhaftig umfassendes Gespraech zu initiieren.
Die Konferenz begann mit einer Einfuehrung von Prof. K. M. Meyer-Abich, Essen, Deutschland, zu Grenzen der Kultur in der Biotechnologie. Wie weit entfernen wir uns als Kulturschaffende von der Natur? Sind wir in der Lage, eine Kultur in Einklang mit der schaffenden Natur zu entwickeln? C. Cairns in Vertretung von S. Lindee, Pennsylvania, USA, verdeutlichte den Einfluss des DNA-zentrierten Denkens auf die Gesellschaft in den USA, wo Gene in immer staerkerem Masse als Metapher fuer die Ursache in allen Lebenslagen angesehen wird. Dies beginnt mit dem Gefuehl, Gefangener seiner Gene zu sein, der Entschuldigung: "es liegt in meinen Genen", d.h. ich bin nicht mehr verantwortlich, bis zu dem modernen Talisman, einem Kaertchen mit Erbgut-Fragmenten bekannter Persoenlichkeiten, welches in den USA kaeuflich zu erwerben ist. Prof. E. P. Fischer, Konstanz, Deutschland, praegte den Begriff Archetypus Gen, "a fuzzy entity", einem Begriff ohne klar-definierte Bedeutung. "Niemand weiss, was ein Gen wirklich ist". Er fuehrte aus, dass bei einseitiger Betrachtung der Gene ein Verstaendnis des Menschen unmoeglich ist. J. van der Waal, Utrecht, Holland, beschloss die erste Vortragsreihe mit einer Beschreibung des heutigen Dualismus der Naturwissenschaftler: der Mensch loest sich in seiner Arbeit aus dem alltaeglichen Leben, seiner ersten Welt, und begibt sich in eine zweite Welt der abgetrennten, vom Kontext geloesten Einzelwahrnehmungen. Die so untersuchte, fragmentarische Welt wird zunehmend als Wirklichkeit und die ganzheitliche erste Welt als Illusion empfunden. So werden wir von der DNA beherrscht, anstatt die Erbeinfluesse in uns zu dirigieren, falls es uns nicht gelingt, ein geistiges Bewusstsein der Qualitaeten der ersten, ganzheitlichen Welt versus der zweiten, reduktionistischen Welt zu entwickeln.
Die Vortraege des zweiten Tages von Prof. Stotzky, New York, USA, M. W. Ho, Milton Keynes, GB, und J. Wirz, Dornach, Schweiz, zeigten, dass die Einfluesse des Erbgutes auf die Entwicklung der Lebewesen heute deutlich ueberschaetzt werden. Weiterhin sind die heutigen Vorstellungen zum kausalen Determinismus in der Biologie durch die Ergebnisse der Quantenphysik und der Chaosforschung laengst ueberholt. Die Einfluesse eines in Zukunft als plastisch und dynamisch zu denkenden Erbgutes werden durch den jeweiligen Entwicklungszusammenhang von Zellen, Organen und Organismen moderiert. Hinzu treten viele weitere Einfluesse der Umgebung, welche insgesamt in einem aeusserst dynamischen Wechselspiel den ganzen Organismus bilden und erhalten. Hier koennen ganzheitliche Versuchsansaetze helfen, die Phaenomene besser verstehen zu lernen. Noetig ist eine holistische, organistische Ansicht der Natur, welche uns Massregeln zum Umgang mit der Gentechnologie liefern kann.
Die Vortraege des letzten Tages von Prof. H. Mueller, Basel, Schweiz, K. Jaspers, Rotterdam, Holland, und M. Gloeckler, Dornach, Schweiz, zeigten die Problematik auf, die durch die gentechnischen Fortschritte in Bezug zur Entwicklung und der Biographie des Menschen auftreten. Der Mensch sieht sich im Widerstreit zwischen diagnostischen Unheilswahrscheinlichkeiten, einem zunehmendem Druck, moegliche "Krankheiten" in der Welt fruehzeitig, d. h. vor der Geburt "zu verhindern" und dem Bewusstsein, im Grunde diese Entwicklungen noch nicht beurteilen und entscheiden zu koennen. Die Konzentration auf "krankmachende Gene" verliert die Lebenswirklichkeiten und biographische Moeglichkeiten des Menschen aus dem Blick.
Durch die weitgefaecherte und bunte Teilnehmerzusammensetzung - etwa die Haelfte der Teilnehmer besass anthroposophischen Hintergrund - entstanden offene, aeusserst lebhafte Gespraeche und Diskussionen bei einer freien Atmosphaere, in der die schwierigsten Fragen von Gegnern und Befuerwortern eroertert werden konnten. Insbesondere von Seiten der Befuerworter dieser Technik wurde der freundschaftliche Dialog hervorgehoben und eine Fortsetzung gewuenscht. Deutlich wurde, dass wirtschaftliche Aspekte bei der schnellen Verwirklichung der Forschungsergebnisse im Vordergrund stehen und eine sachgerechte Abwaegung von Risiken und Chancen kaum moeglich wird. Die Gespraeche in den Arbeitsgruppen und im Plenum zeigten aber auch die Vielzahl der zu beruecksichtigen Gesichtspunkte, welche schnelle Entscheidungen aeusserst schwierig und diese oft abhaengig vom persoenlich Einzelschicksal machen. Sie erfordern einen weiteren, intensiven Dialog aller Seiten zu dieser Thematik. Auf den im Fruehjahr 1997 erscheinenden Tagungsband mit den Beitraegen der Redner, Arbeitsgruppen und Plenumsgespraeche darf man gespannt sein.
Mit diesem offenen Ende wurde deutlich, dass das Gespraech zu diesen Fragen nun nicht beendet sein darf. Insbesondere zeigte es sich, wie befruchtend es sein kann, schon in der Schulbildung die Urteilsfaehigkeit zu entwickeln und an praktischen Beispielen zu erueben. In Holland wurde dieser Impuls aufgegriffen, neben der Entwicklung von Unterrichtshilfen fuer staatliche, aber auch Waldorfschulen finden vermehrt Seminare speziell fuer Lehrer statt, wo diese Problematik eroertert werden kann. Dies ist auch fuer die anderen Laender zu wuenschen. Die Fortsetzung des Konferenzimpulses wird in den verschiedenen Laendern mit den regionalen Ifgene-Gruppen versucht werden.
Als zentrale Adresse zu allen Konferenzzusammenhaengen wie auch zu den regionalen Aktivitaeten sind Informationen bei der Naturwissenschaftlichen Sektion ueber Herrn Dr. Johannes Wirz erhaeltlich, naehere Informationen zu den regionalen Aktivitaeten in Deutschland erhalten Sie bei:
Ifgene Deutschland - Internationales Forum zur Gentechnik
Dr. Manfred Schleyer
Hummels 3
D-87764 Legau
GERMANY
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